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Kirchturm Autor: gs

Ravenna: Sant'Apollinare in Classe, Campanile 10. Jh.Die ersten Kirchtürme kommen in Italien als Campanile, frei stehende Glockentürme auf (Ravenna, Sant'Appolinare Nuovo ). Später wurden die Türme an die Kirchengebäude herangerückt oder auch integriert um den Bau zu vereinheitlichen und aufgehendes Mauerwerk zu sparen.
Bedeutende Typen sind:

Westtürme mit dem Eingang im Erdgeschoss oder auch Zwillingstürme als Tor mit dem Eingang zwischen sich,
Osttürme als Chorturm oder Chorseitenturm und
Vierungstürme über dem Kreuzungspunkt von Schiff und Querschiff.
An großen Bauwerken nutzte man Türme zur Markierung von Gebäudeenden.

Funktionen

Warum man begann, zum Gottesdienstraum Türme hinzuzugesellen, liegt im Dunkeln. Die verschiedenen durch die Kirchturmbaugeschichte hindurch wirksamen Funktionen könnten dabei zu Grunde gelegen haben:

Erhöhte Schallquelle: Kirchtürme dienen dem Ruf zum Gottesdienst. Dieser erfolgt seit etlichen Jahrhunderten duch die Glocken, kann aber auch durch Menschen oder Instrumente (Posaunen) laut werden. Der Turm ermöglicht, dass der Schall oben über der umgebenden Bebauung abgestrahlt werden kann und weit hinaus hörbar wird. 

Zeiger zum Himmel: Kirchenräume dienen der Anbetung Gottes. Die Anbetung richtete sich seit je her nach oben. Anfangs vermutete man dort einen himmlischen Ort innerhalb der Dreidimensionalität des Raumes. Aber auch nach der Überwindung des geozentrischen Weltbildes assoziiert die menschliche Spiritualität das Göttliche mit dem Raum oberhalb. So weisen Kirchtürme, indem sie nach oben zielen, über das Irdische hinaus.

Wegmarke: Durch ihre Fernwirkung signalisieren Kirchtürme einen Ort, eine Siedlung oder eine wichtige Stelle. Der wertvollste Ort im Dorfraum war im Bewusstsein der Gläubigen die Kirche, daher passte es, dass Stadt oder Dorf durch den Kirchturm in die Ferne repräsentiert wurden. Im Städtebau ermöglichten Kirchtürme, verschiedene Zentren zueinander zu ordnen.

Ort mit weitem Blick: Die Kirchtürme waren früher ein Instrument für die Sicherheit des Gemeinwesens. Vom Turm aus konnten Brandherde erkannt und Alarm geschlagen werden. Vom Turm aus konnten heranziehende Feinde gesichtet und zur Verteidigung gerufen werden. In Städten waren sie daher dauernd besetzt und öfter vom Türmer bewohnt. Heute werden Kirchtürme als Orte der guten Aussicht gerne bestiegen. Als spirituelle Dimension können Menschen dabei erleben, über den Alltag hinausgehoben zu sein. Außerdem kann der Blick von oben Distanz zum Alltag vermitteln und an den göttlichen Blick erinnern.

Zeitzeichen: Mit dem Glockenschlag und später mit den Turmuhren erhielten Kirchtürme über die räumliche Orienterung hinaus auch die Funktion zeitlicher Orientierung.

Repräsentation der Kirche: Kirchtürme signalisieren mit ihrer Höhe und Pracht das Potential ihrer Erbauer. Theologisch sollten die Türme die Macht Gottes darstellen. Auf der anderen Seite wirkten beim Turmbau aber auch weltliches Machtstreben und Repräsentationsbedürfnis mit. Wer den höchsten Punkt im Gemeinwesen markierte, beanspruchte auch höchste Autorität. Lange hielt man sich vielerorts daran, dass weltliche Bauwerke die Kirchturmspitze nicht übertreffen durften. Umgekehrt gab es auch Bewegungen, die im Repräsentationsstreben eine Verfehlung sahen und sich bewusst im Höhenstreben beschränkten (Bettelorden, sozialdiakonisch motivierte Kirchbaudebatte des 20. Jahrhunderts). 

Für die Planung von Kirchtürmen in der Gegenwart spielen einige der traditionellen Funktionen keine Rolle mehr, während andere bleibende Bedeutung haben.
Dass in den letzten Jahren Türme häufig als reine Glockenträger geplant wurden, zeigt, dass der Ruf zum Gottesdienst als primäre Funktion lebendig ist. Alles andere ist eine Frage dessen, was sich die Kirche heute leisten kann und will. Funktionen für das Gemeinwesen werden über die des Zeitzeichens hinaus heute kaum mehr übernommen. Dies geschieht noch am ehesten, wenn sich die kirchliche Architektur auch mit dem Setzen einer Betonung dialogisch in den Dienst des städtebaulichen Konzeptes am Ort stellt. Wegen des gemeinschaftlichen Nutzens haben sich früher die bürgerlichen Gemeinden häufig an der Finanzierung des Kirchturms und seiner Einrichtungen beteiligt. Vielerorts bestehen diese Verträge noch. Über eine Beteiligung der Kommune am Bau und Erhalt eines Kirchturms zu sprechen könnte mit Blick darauf auch heute einen Versuch wert sein.

Im eigenen Interesse der Kirche im Kontext einer pluralistischen Umgebung ist zu überlegen, wie sie mit ihrem Anspruch und Gewicht in der Gesellschaft sichtbar werden kann. Ein hohes Bauwerk oder ein entsprechendes vertikales Zeichen können dem Ausdruck verleihen.

Technik

Es versteht sich von selbst, dass für Türme besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich der Standfestigkeit erforderlich ist. Während es die mittelalterlichen Kirchenbauer dabei auf den Versuch und die Haltbarkeit des Bodens ankommen lassen mussten, sind die statischen Risiken heute alle kalkulierbar.
Immer noch Probleme bereiten bei Türmen gelegentlich die besonderen Anforderungen durch dynamische Belastung. Neben Schwingungen durch Wind wirken bei Kirchtürme die Glocken als Schwingungserreger, die bei ungünstiger Interferenz mit der Eigenfrequenz zu überhöhten Belastungen und Bauschäden führen können.
Die Vorausberechnung des Schwingungsverhaltens ist nicht mit letzter Genauigkeit möglich. In schwierigen Fällen werden daher Messungen mit Schwingungserregern durchgeführt.
Bei Problemen mit der Läutefrequenz können korrigierende Maßnahmen am Geläute vorgenommen werden.

Besondere Beachtung verdienen bei der Planung von Turmanlagen Aspekte der Begehungssicherheit sowohl für die Öffnung für Besucher als auch für die Benutzung durch am Turm Beschäftigte. Hohe Absturzhöhen erfordern besondere Sorgfalt bei der Gestaltung von Geländern, Bodenöffnungen, Treppen und anderem mehr. Die Vereinigte Berufsgenossenschaft hat dafür einschlägige Vorgaben erarbeitet.

Gelegentlich erzeugen Turmbauwerke störende Windgeräusche, die dann durch korrigiende Maßnahmen abgestellt werden müssen.

Sowohl Chance als auch Problem sind Kirchtürme als Lebensraum für Tiere. Die Chance besteht darin, seltenen Vogelarten Nistmöglichkeiten zu bieten, speziell dem Turmfalken. Andererseits kämpft man vielerorts gegen Übervölkerung vor allem durch Tauben, deren Kot nicht nur ästhetisch belästigt, sondern auch Bauteile angreifen kann. 

 

 

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